Pünktlich zu ihrem 20-jährigen Jubiläum tagte die Forschungsstelle Glücksspiel auch in diesem Frühjahr wieder zu aktuellen Themen wie der Einhaltung des Spielerschutzes und der Regulierung des Glücksspielmarktes.
Forschungsstelle Glücksspiel feiert 20-jähriges Jubiläum
Die bereits vor 20 Jahren ins Leben gerufene Forschungsstelle der Universität Hohenheim untersucht mithilfe wissenschaftlicher Methoden vielerlei Fragestellungen rund um das Thema Glücksspiel. Die Forschungsergebnisse werden jährlich auf einer eigenen Fachkonferenz zusammengetragen. Mit ihrer bundesweit einzigartigen Arbeit leistet die Universität einen wesentlichen Beitrag zur Glücksspielforschung in Deutschland.
© Forschungsstelle Glücksspiel – Universität Hohenheim
Die Vorträge auf der zweitägigen Veranstaltung sind thematisch weit gefächert und decken ein breites Feld innerhalb der Glücksspielforschung ab. Außerdem dient die Tagung auch dem Austausch zwischen einzelnen Fachleuten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Durch diesen interdisziplinären Dialog bleibt das Thema Glücksspiel nicht nur medial präsent. Damit wird auch die Relevanz einer gesellschaftlichen Diskussion unterstrichen, die seit der Teillegalisierung von Glücksspiel nicht weniger notwendig zu sein scheint als zuvor.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Stuttgarter Forschungsstelle zusammen mit den Ergebnissen anderer Forschungen regelmäßig gebündelt, um sie anschließend systematisch auswerten zu können. Dabei ist die Universität auch bestrebt, Politikern auf der Grundlage einer fundierten wissenschaftlichen Basis zu helfen, sinnvolle Entscheidungen zu fällen, damit diese anschließend in soliden gesetzlichen Regelungen umgesetzt werden können.
Neben aktuellen Entwicklungen wie der Zunahme von Glücksspielwerbung in sozialen Medien wurde in diesem Jahr auch die Umsetzung des von der Politik ausgerufenen Ziels, den Schwarzmarkt durch entsprechende Regulierungen einzudämmen, untersucht. So werden beispielsweise die derzeitigen Maßnahmen zur Spielsuchtprävention anhand wissenschaftlicher Daten auf Effizienz geprüft.
In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls die kürzlich beschlossene Anhebung von Einzahlungslimits kritisch hinterfragt.
Aufweichung des Einzahlungslimits gefährdet Spielerschutz
Bisher galt eine im Glücksspielstaatsvertrag von 2021 festgesetzte monatliche Einzahlungsgrenze von 1000 €. Sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind, können Spieler nun aber wieder bis zu 30.000 € setzen. Bereits seit dem 01.01.2023 ist die „Bindende Rahmenregelungen bei der Festsetzung eines abweichenden Höchstbetrages für das Einzahlungslimit für Anbieter von Online-Casinospielen nach § 6c Abs. 1 Satz 5 GlüStV 2021“ in Kraft. Auch wenn diese ergänzenden Regelungen zeitlich befristet sind und voraussichtlich am 31.12.2024 auslaufen, stellt sich dennoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines so enormen Anstiegs der Obergrenze für Spieleinsätze.
Gerade diese Erhöhung des monatlichen Einzahlungslimits für Spieler dürfte sich kontraproduktiv auf die Suchtprävention auswirken. Zu diesem Schluss kommt auch Dr. Steffen Otterbach, Leiter der Forschungsstelle in Hohenheim: „Um dem illegalen Spiel entgegenzuwirken, soll ausgerechnet die Aufweichung des anbieterübergreifenden Einzahlungslimits von 1.000 Euro dafür sorgen, den legalen Markt attraktiver zu machen“. Im Gegenteil, die Erhöhung des Einzahlungslimits von 1000 auf bis zu 30.000 € könne das Problem sogar noch verschärfen, denn „für die meisten Menschen dürfte bereits das Limit von 1.000 Euro monatlich zu wirtschaftlichen Problemen führen.“ (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Weitere Themen der Tagung im Überblick
- Umsetzung des Spielerschutzes im digitalen Raum
- Stetige Abwanderung zu illegalen Anbietern aufgrund attraktiverer Angebote
- Auswirkungen der Erhöhung des Einzahlungslimits
- Chancen und Risiken durch den Einsatz künstlicher Intelligenz
- Jugendgefährdung durch den Kontakt mit glücksspielähnlichen Angeboten (z.B. durch den Erwerb von Lootboxen)
Auch die Herabsetzung Glücksspielsüchtiger, die teilweise sogar – wie bei anderen Suchterkrankungen auch – bis zur sozialen Ächtung reicht, ist ein wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Thema Glücksspiel. Durch ihre Forschungsarbeit schärft die Universität das Bewusstsein für Spielsuchtgefahr und gibt Impulse für entsprechende Verbesserungen. Dabei wird sehr deutlich, wie weitreichend sich wissenschaftliche Forschung und daraus resultierende politische Entscheidungen bis in einzelne Teilbereiche der Gesellschaft auswirken.
Aktuelle Untersuchung liefert beunruhigende Ergebnisse
Wie zwingend notwendig gerade die Schaffung eines gesellschaftlichen Bewusstseins für die Suchtgefahr ist, die von Glücksspiel ausgeht, zeigen die am 6.3.2024 in Berlin veröffentlichten Ergebnisse der Glücksspiel-Survey: Von problematischem Verhalten seien rund 2,4 Prozent aller Bundesbürger zwischen 18 und 70 Jahren betroffen. (Quelle: Landesfachstelle Glücksspielsucht)
Die Bedeutung der Ergebnisse unterstreicht auch Dr. Otterbach von der Forschungsstelle Glücksspiel, denn „der Glücksspiel-Survey stellt für uns eine wichtige Grundlage in Bezug auf das Ausmaß von Glücksspielproblemen in Deutschland dar“. (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Doch nicht nur hinsichtlich der Nutzung von illegalen Angeboten lieferte diese aktuelle Untersuchung zu problematischem Spielverhalten in Deutschland beunruhigende Zahlen. Ebenso lässt sich daraus ableiten, welch große Rolle der Schwarzmarkt nach wie vor einnehmen muss. Da die Angebote illegaler Anbieter nicht den Vorgaben der deutschen Glücksspielbehörde unterliegen, können genehmigte Online Spielotheken nämlich oft nicht mit den höheren Bonibeträgen und den verlockenden Promotionaktionen illegaler Plattformen mithalten. Daher fühlen sich Online Spielotheken Betreiber zunehmend unter Druck, was sich letztlich wiederum ungünstig auf den Spielerschutz auswirken könnte.
Neue Untersuchungstechnik erschwert Vergleichbarkeit mit vorangegangenem Glücksspiel-Survey
Seit 2021 wird die Untersuchung nicht mehr von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geleitet. Mittlerweile fällt der Glücksspiel-Survey, der jedes zweite Jahr durchgeführt wird, in den Zuständigkeitsbereich des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) (https://www.isd-hamburg.de/taetigkeitsspektrum/). Das ISD hat seinen Sitz in Hamburg und organisiert neben seiner Forschungsarbeit auch Fortbildungen wie die „Suchttherapietage“.
Für das aktuelle Glücksspiel-Survey wurde nun erstmal eine neue Forschungsmethode angewandt: „Bei dem neu eingesetzten Messinstrument, dem sogenannten DSM-5, handelt es sich um ein international anerkanntes Instrument zur Diagnose von psychischen Störungen – einschließlich problematischem Glücksspiel“, erläutert Dr. Otterbach. (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Hinter der Abkürzung DSM, was ausgeschrieben für „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders” steht, verbirgt sich ein System zur Klassifikation von psychischen Störungen, welches von der American Psychiatric Association entwickelt wurde.
Kritik an Untersuchungsverfahren nur teilweise berechtigt
Einerseits sind Innovationen, sofern sie mit Verbesserungen einhergehen, natürlich stets zu begrüßen. Andererseits wird in diesem Fall dadurch allerdings die Möglichkeit eingebüßt, das aktuelle Ergebnis der Umfrage mit älteren zu vergleichen. Dr. Otterbach erläutert diesen Zusammenhang wie folgt: „Das ermöglicht eine bessere internationale Vergleichbarkeit, führt jedoch zu anderen Ergebnissen. Ein direkter Vergleich der Zahlen von 2021 mit 2019 ist daher nicht zweckmäßig. Erst der Vergleich mit den aktuellen Ergebnissen zu 2023 macht Sinn.“ (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Die Kritik an dem Untersuchungsverfahren, die von mehreren Verbänden geäußert wurde, weist Dr. Otterbach jedoch zurück: „Hier wird ein Maßstab angelegt, der für wissenschaftliche Veröffentlichungen in Fachpublikationen gilt, bei Studien dieser Art aber nicht üblich ist.“ (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Obwohl die Kritik am DSM-5 Verfahren aus wissenschaftlicher Sicht durchaus berechtigt sein mag, fehlen hierzu in erster Linie leider die entsprechenden Mittel: „Eine Längsschnittstudie, also eine wiederholte Befragung derselben Personen – wie im Gegengutachten gefordert – ist beispielsweise absolut wünschenswert. Machbar ist dies jedoch erst mit einer entsprechenden Ressourcenausstattung.“ (Quelle: Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 06.03.2024)
Unser Fazit
Wie wichtig die Arbeit der Hohenheimer Forschungsstelle ist, wurde in diesem Jahr nicht allein durch die bedenklichen Ergebnisse des Glücksspiel-Survey deutlich unterstrichen. Auch die Anhebung des Einzahlungslimits sollte nicht nur im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten kritisch hinterfragt werden. Schließlich wird dadurch ein wesentlicher Punkt des Spielerschutzes wieder außer Kraft gesetzt wird.
So bleibt zu hoffen, dass die Politik die wissenschaftliche Arbeit der Universität Hohenheim ernst nimmt und in entsprechend wirksame Maßnahmen umsetzt, durch die sich das Risiko einer ernsthaften Spielsuchterkrankung zumindest minimieren lässt, anstatt geltende Vorgaben wieder aufzuweichen – wie erst kürzlich beim Einzahlungslimit geschehen.
Ebenso sollte wissenschaftliche Forschung keinesfalls daran scheitern, dass nicht genügend Gelder bereit stehen, um Datenerhebungen mit den bestmöglichen Mitteln durchzuführen. Erst recht nicht, wenn es um ein gesellschaftlich so wichtiges Thema wie Glücksspielsucht geht.
Beitrag vom 13.05.2024